Wenn der Postmann nicht mehr klingelt | 3m5.

15. Dezember 2016

Der Onlinehandel muss neue Wege zum Kunden suchen – einige hat er schon gefunden: Amazon Prime Air feiert seine erste Lieferung, Metro, Media Markt und Starship testen einen Lieferroboter in Düsseldorf. Bleibt der Postmann demnächst auf der Strecke?

Amazon hat am Mittwoch (13.12.) über Twitter seine erste Lieferung per Drohne gefeiert, 3m5.-Kunde Metro und Media Markt testen seit Ende September einen Lieferroboter im Stadtgebiet von Düsseldorf. Auch andere arbeiten längst an der alternativen Zustellung von Paketen, die billiger und schneller ist. Grundlegende Fragen sind allerdings längst nicht geklärt. Zum Beispiel diese: In welcher Flughöhe dürfen sich die Drohnen bewegen? Und wo stellt die Drohne das Paket ab, wenn die Adresse ein Mehrfamilienhaus in der Stadt ist?

Fest steht nur: Alternativen zu Postmann und -frau wird es bald geben. Der Bedarf ist riesig: Jeden Werktag werden in Deutschland etwa 3,2 Millionen Pakete ausgeliefert. DHL rechnet in den nächsten Jahren national mit einem Wachstum von fünf bis sieben Prozent. Was bedeutet das fürs praktische Leben? Immer mehr Transporter, die in zweiter Reihe parken? Chaos in den Städten? Umweltschäden durch eCommerce? Die urbane Logistik sucht dringend nach Alternativen.

Für eine Anlieferung der Waren mithilfe von Maschinen sprechen grundsätzlich zwei Entwicklungen. Zum einen ließen sich dadurch die Personalkosten senken und Güter effizienter als bisher ausliefern. Zum anderen könnten sich so Wettbewerbsvorteile bei der Servicequalität herstellen lassen. Insgesamt hätte der Onlinehandel durch den Einsatz alternativer, besserer und billigerer Zustellungsmethoden plötzlich enorme Wettbewerbsvorteile gegenüber dem stationären Handel.

Was in der Praxis einsatzfähig ist, wird von den großen Logistikern seit Monaten fleißig getestet. DHL, Hermes, Google, Amazon und weitere Global Player suchen neue Zustellwege. Hier sind die vielversprechendsten – und so ganz ohne Menschen kommen übrigens nicht alle aus:

DROHNENLIEFERUNG VIA AIRMAIL
Der Einsatz von Drohnen im Bereich der Lieferdienste ist seit Jahren im Gespräch. Die erste Zustellung durch Amazon Prime Air erfolgte jetzt in Großbritannien https://www.amazon.com/b?node=8037720011. Die Dauer: angeblich 13 Minuten, geliefert wurden ein TV-Stick und eine Tüte Popcorn. Großbritannien gestattete dem Onlinehändler Amazon diesen Pilotversuch, der Zustellweg soll nun ausgebaut werden. Vor kurzem erst hatte auch die US-amerikanische Luftfahrtbehörde seine strikten Regelungen gelockert und die Bedingungen für Lieferungen via Drohnen veröffentlicht. Sie dürfen für Waren bis 25 Kilogramm eingesetzt werden. Außerdem muss der Flug von einer Person visuell überwacht werden und die Drohne darf nicht schneller als 160 Stundenkilometer fliegen.
DROHNENLIEFERUNG VIA AIRMAIL

Auch DHL testet seit Anfang 2016 in den USA alternative Zustellwege. In Deutschland experimen-tiert der Logistikriese mit dem „Paketkopter“ und lieferte testweise Pakete aus dem Tal auf eine Almhütte. Unterschieden wird dabei zwischen „High Dollar Applications“ (Auslieferungen in dicht bebauten Städten) und „High Impact Applications“ (Auslieferung von lebenswichtigen Waren, beispielsweise von Medikamenten in entlegenen Gebieten). Die Idee dahinter ist, dass die profitablen Transportdienste die gesellschaftlich wünschenswerten Logistikdienste quersubventionieren.

Eines dieser Projekte ist das der Firma Matternet: Das auf fliegende Roboter spezialisierte Start-up möchte mit selbstentwickelten Drohnen und einem Netz aus solargetriebenen Landestationen für den automatischen Batteriewechsel beispielsweise Arzneimittel in dünnbesiedelte oder schlecht erreichbare Gebiete transportieren https://thoughts.mttr.ne/Matternet_Press%20Release_IDB%2029JUN2016.pdf


Während in der Dominikanischen Republik der Probelauf startet, wird im afrikanischen Königreich Lesotho bereits ein handfestes Projekt geplant: Fast ein Viertel der Bevölkerung ist HIV-positiv – 70 Prozent der Betroffenen leben sehr abgeschieden und müssen trotzdem aller sechs Monate auf ihre Krankheit getestet werden. Für die Regierung ist das ein bisher unlösbares logistisches Problem – mit einer Investitionssumme von lediglich 900 000 US-Dollar könnte das Drohnensystem von Matternet nun einspringen. Nach Berechnungen der Weltbank würde das weniger kosten als eine zwei Kilometer lange einspurige Straße.

AUTOMATISIERTE AUSLIEFERUNG
Grundidee: Die Lieferung von Paketen ist – bis auf wenige Ausnahmen – ein Service, der Waren transportiert und ohne weiteren Schnickschnack dem Empfänger übergibt. Somit können Transport und Übergabe automatisiert werden. Anfang 2016 veröffentlichte Google deshalb ein Patent, für einen mit Schließfächern – ähnlich einer Packstation – ausgestatteten Lieferwagen.
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Mobile-Packstation-Google-laesst-sich-autonomen-Paketlieferwagen-patentieren-3098479.html

Der Lieferwagen fährt autonom und der Empfänger kann mittels eines Codes oder über Near Field Communication (NFC) sein Fach öffnen. Außerdem kann der Kunde Pakete oder Briefe direkt über das Postfach aufgeben. Die Idee passt sehr gut zu den aktuellen Entwicklungen von Google im Bereich des autonomen Fahrens und ist auch als direkte Konkurrenz zum Drohnenkonzept von Amazon zu verstehen.
In Deutschland testen Hermes und der Handelskonzern Metro mit seiner Tochter Mediamarkt seit September 2016 Zustellroboter der Firma Starship.
https://www.channelbiz.de/2016/08/08/metro-test-mit-lieferrobotern-startet-im-september/

Der Kunde erhält eine SMS, wenn der autonome Postbote vor der Haustür steht. Dabei wird der Lieferroboter per GPS überwacht, orientiert sich selbstständig mit neun Kameras und liefert ganz eigenständig das Paket bis zehn Kilogramm Gewicht in einem Radius von fünf Kilometern in Laufgeschwindigkeit (etwa sechs Stundenkilometer) aus. Damit nutzt der Starship-Roboter die nor-malen Fußgängerwege. Mit Hilfe seiner neun Kameras und Ultraschallsensoren kann er jederzeit Hindernisse erkennen und bei Bedarf sofort stoppen. Zitat aus der Pressemitteilung: „Zu Fußgängern ist er besonders höflich und fährt, wenn der Weg zu schmal ist zur Seite und lässt sie passieren.“

STANDORTBASIERTE LIEFERUNG

Nächste Idee zur Liefer-Alternative: Bei einem Wettbewerb um neue Logistikideen konzipierten Studenten eine App, mit der die Routen der Paketauslieferung mit den Standortdaten der Nutzer und Paketempfänger abgeglichen werden, um so die Übergabe zu koordinieren. Dieses Projekt mit dem Titel myways setzte DHL schon 2012 in Schweden um.  hpi.de/en/school-of-design-thinking/in-der-praxis/bring-buddy-a-social-delivery-service.html


Übergeben werden die Pakete von einem guten alten Bekannten – dem Paketzusteller.

SOCIAL DELIVERY UND BRING BUDDIES
Gerade in Großstädten ist die Auslieferung durch Fahrzeuge (egal, ob autonom oder mit Fahrer) aufgrund der Verkehrssituationen schwer planbar. Hier sollen Menschen als sogenannte Bring Buddies die letzte Meile zum Kunden übernehmen. Außerdem werden Freunde oder Hausbewohner Teil der Lieferkette und verwahren Pakete beziehungsweise liefern diese aus. In Megametropolen wie Hongkong setzt DHL sogar auf menschliche Kuriere, die das öffentliche Verkehrsnetz nutzen, um die Waren schneller auszuliefern.
http://www.dpdhl.com/de/logistik_populaer/delphi_dialog_2020/delphi_dialog_shanghai.html

Ausblick
Die Effizienz und die Schnelligkeit der Zustellung bleiben die kritischen Erfolgsfaktoren der automatisierten Zustellung. Denn am Ende zählt für den Kunden neben der bestellten Ware auch die Flexibilität und Qualität der Lieferung. Er möchte in Zukunft selbst entscheiden, wann, wo und auf welchem Weg er sein Paket erhält. Für Unternehmen bedeutet das aber, den Anschluss nicht zu verpassen. Denn auch wenn noch nicht klar ist, welche Technologie am Ende dominiert – perspektivisch werden diese innovativen Logistikansätze kundenseitig oder auch innerbetrieblich eine wichtige Rolle spielen. Nach vielen Versuchen in der Praxis scheint bereits jetzt schon festzustehen: Seine Logistik wird der Onlinehandel auch in Zukunft nicht ganz ohne Menschen bewältigen können. Die werden allerdings von sehr viel mehr Technik unterstützt als bisher.

 


Autor: Professor Ralph Sonntag, Marketing-Experte an der HTW Dresden
Update: Anne Schneider
Bildquellen: Amazon, Starship Technologies


 

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