SZ-Artikel

19. März 2020

Wo der Labrador beim Personal berät

Von Nora Miethke

Michael Eckstein und seine Dresdner Internetfirma "3m5." stemmen alle Aufträge und Investitionen aus eigener Kasse - und das sehr erfolgreich.

Paula ist immer mit dabei. Die braune Labradorhündin begleitet Michael Eckstein, Gründer und Geschäftsführer der Dresdner Internetfirma "3m5.", täglich ins Büro. Dieses Vorrecht steht nicht nur dem Chef zu. Drei Mitarbeiter bringen ihre Vierbeiner mit zur Arbeit. "Das ist ein guter Weg, um Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden", sagt Eckstein und lacht. Er meint es ernst.

Die 34 Mitarbeiter, größtenteils Programmierer, sind das wichtigste Kapital von "3m5.". Denn die Softwarelösungen für die Kunden werden immer komplexer. Ursprünglich wollten Eckstein und sein Studienfreund Stefan Jahn Unternehmen auf ihrem Weg ins Netz begleiten. Das war Mitte der 1990er-Jahre, als es nur wenige deutsche Internetseiten gab, eine erfolgversprechende Geschäftsidee. 1997 wurde die Firma gegründet, anfangs unter dem Namen "Go online". Doch für die sächsische Wirtschaft kamen die beiden Internet-Euphorisierten zu früh. "Wir haben die 200 größten Unternehmen in der Region angeschrieben. Niemand wollte unsere Dienste", erinnert sich Eckstein. Sie ließen sich nicht entmutigen. Mit einem Startkapital von 200 D-Mark und einer Handvoll Kontakte programmierten sie erste Webprojekte im Studentenwohnheimzimmer mit der Nummer "3m5." - das steckt hinter dem heutigen Firmennamen.

Inzwischen entwickeln und betreuen sie die Kundeninternetseiten von 40 heimlichen Weltmarktführern ("hidden champions") in allen gewünschten Sprachen, einschließlich Arabisch und Chinesisch. "Spanier und Franzosen brauchen doppelt so viele Worte, um das Gleiche zu sagen wie Deutsche. Das zerschießt völlig die Navigation", schildert Eckstein nur ein Problem, mit dem sie täglich zu kämpfen haben. Er hat das Programmieren als Werkstudent bei Siemens gelernt.

"3m5." hat sich längst von einem Internetdienstleister zu einer Multimediaagentur gewandelt mit zwei Niederlassungen in München und Palo Alto. Das zweite Standbein sind Online-Anwendungen für ZDF und ARD. Die Dresdner sorgen unter anderem dafür, dass Sportfans die Liveübertragungen von Olympia oder der Fußballweltmeisterschaft ruckelfrei im Internet verfolgen können. Ein Produkt von "3m5." gibt es auch zum Anfassen: der Tiptoi-Stift für die "Wieso? Weshalb? Warum?"-Bücher von Ravensburger. Diese Woche wurde auf der Nürnberger Spielemesse eine neue Version vorgestellt - wieder entwickelt in der Firmenvilla am Loschwitzer Elbufer.

 

Der dritte Schwerpunkt liegt auf sozialen Netzwerken. Dass Versicherungskunden auf ihrer Facebookseite persönliche Nachrichten ihrer örtlichen Versicherungsberater vorfinden, die aus der Zentrale gesteuert werden, auch das machen die Dresdner möglich. Im Wettbewerb um einen neuen Auftrag von Deutschlands größtem Versicherungskonzern messen sie sich derzeit mit Anbietern aus dem Silicon Valley, die alle mit Risikokapital finanziert und entsprechend groß und stark sind.

Das schreckt den gebürtigen Vogtländer Eckstein nicht. "Wir halten unsere Software für überlegen", sagt der 40-Jährige selbstbewusst. Den Einstieg von Risikokapitalgebern oder die Aufnahme von Krediten zur Wachstumsfinanzierung lehnt der Betriebswirt ab. Dazu sind die Erfahrungen nach dem Zusammenbruch des Neuen Markts im Jahr 2000 immer noch zu frisch. Auch ist die Bewahrung unternehmerischer Unabhängigkeit oberstes Gebot. Der "3m5."-Chef sieht die größte unternehmerische Leistung des vergangenen Jahres darin, "dass wir alles aus dem Cashflow finanzieren". Die Firma wächst jährlich um rund 20 Prozent beim Umsatz, aber auch bei der Zahl der Mitarbeiter. Und das wird in den kommenden Jahren so weitergehen, ist Eckstein optimistisch. Im Jahr 2025 sollen es 200 Mitarbeiter sein.

Und wie kann die neue Landesregierung ihm dabei helfen? Sie hat sich die Förderung der Digitalwirtschaft auf die Fahnen geschrieben. "Das Einzige, was ich brauche, ist der Flughafen. Mehr Fluglinien nach Zürich oder Wien wären gut", sagt Eckstein. Der Unternehmer und bald zweifache Vater hat oft 15-Stunden-Tage, die im Flieger beginnen und enden. Dennoch versucht er so weit wie möglich, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorzuleben. Als Erster in der Firma hat er zwei Monate Elternzeit genommen, beim zweiten Kind sollen es fünf Monate sein.

Eckstein und sein Firmenpartner haben die in der jungen Internetbranche eher ungewöhnliche Vision: Sie wollen mit ihren Mitarbeitern alt werden, und das "wie in einer Familie". Auch wenn es eines Tages 200 sein werden, will der Chef allen früh noch die Hand geben. Die Unternehmensphilosophie wie die Wachstumsziele wurden von allen im Team gemeinsam festgelegt, entwickelt unter der Fragestellung "Wie siehst du dich mit 50 Jahren bei "3m5."? Das Durchschnittsalter ist derzeit unter 30.

Ohne fremde Mittel wird demnächst auch der Umzug in einen größeren Firmensitz gestemmt. In der alten Villa ist es zu eng geworden für neue Mitarbeiter. Auf jeden Job kommen zehn Bewerber. Bei allen Bewerbungsgesprächen ist Paula mit dabei. Wer sich gut mit ihr stellt, hat beste Einstellungsaussichten.

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